NEUE RECHTE

Wer hinter dem „Wahlhelfer“ in Thüringen steckt: Der Mr. X der „freien“ Medien

Vor der Landtagswahl in Thüringen ist erneut ein AfD-nahes Gratisblatt im Wahlkampf aufgetaucht: der „Wahlhelfer“. Einer der Herausgeber tritt unter Pseudonym auf. Ausgerechnet er ist nach Recherchen von CORRECTIV und „Frontal21“ die treibende Kraft hinter dem Blatt. Auch enge Mitstreiter kennen seine Identität nicht. Großspenden zur Finanzierung der Wahlwerbung sollen auf sein privates Konto geflossen sein. Wer ist „Hanno Vollenweider“?

von Till Eckert , Marcus Bensmann , Ulrich Stoll

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Er steckt hinter dem dubiosen „Wahlhelfer“, der in Thüringen verteilt wird: Hanno Vollenweider, ein Mr. X, der seine wahre Identität nicht preisgeben will. © Ivo Mayr / CORRECTIV

Nicht weniger als eine halbe Million Exemplare will die „Vereinigung der freien Medien“ vor der Landtagswahl in Thüringen am kommenden Sonntag von ihrem Gratisblatt „Wahlhelfer“ unters Wahlvolk bringen. Es geht um Dörfer-Sterben, angebliche Ausländer-Kriminalität und Windparks. Die Botschaft ist eindeutig: Am besten für das Bundesland sind Stimmen für die AfD. So wünschen sich die Autoren „ein möglichst starkes Abschneiden der AfD“ und erhoffen sich von der CDU „die Annäherung an die AfD auf Landesebene“.

T-online hatte zuerst über das Gratisblatt berichtet. Und herausgefunden, dass dem Herausgeber, eben jene „Vereinigung der freien Medien“, die Eintragung als Verein in Berlin misslang. Die Spur endet in der Friedrichstraße in Berlin-Mitte, wo sich der angebliche Verein bei einem Bürodienstleister eine Adresse gekauft hat. 

Recherchen von CORRECTIV und Frontal21 zeigen jetzt: Hinter dem „Wahlhelfer“ steckt ein Mann, der unter dem Pseudonym Hanno Vollenweider agiert. Er soll Kontakte zu Großspendern pflegen, die das Gratisblatt finanziert haben sollen.

Vollenweider und Vera Lengsfeld – Bürgerrechtlerin in der DDR, später für die Grünen und CDU im Bundestag –, stehen als Herausgeber im Impressum. Sie sollen auch Mitgründer der Vereinigung sein, die ein Dachverband für die in den vergangenen Jahren entstandenen neurechten Medien wie Journalistenwatch, PI-News und das Compact-Magazin sein soll. 

Mr. X und das Geld

Nach unseren Recherchen ist Vollenweider die treibende Kraft hinter der „Vereinigung der freien Medien“. Doch selbst gegenüber seinen Vertrauten soll der Mann nicht seinen tatsächlichen Namen preisgeben. In der an Irrungen und Wirrungen inzwischen reichen Spendenaffäre der AfD dürfte das ein Novum sein. 

In Videos tritt Vollenweider anonymisiert auf, er lässt sich verpixeln und seine Stimme verzerren, zum Beispiel in einem Interview mit dem Youtube-Kanal „Der fehlende Part“ im Februar 2017. Vollenweider wird hier als „Whistleblower“ bezeichnet.

Hanno Vollenweider im Interview mit dem Youtube-Format „Der fehlende Part“ im Februar 2017. (Screenshot: CORRECTIV)

Fragen zu seiner Person möchte Vollenweider auf Anfrage nicht beantworten. Wer ist dieser Mann?

„Er ist extrem vorsichtig“, sagte ein ehemaliger Vertrauter aus dem Gründungszirkel der „Vereinigung der freien Medien“ gegenüber CORRECTIV. Vollenweider lege demnach großen Wert darauf, eine Konstruktion aufzubauen, die seiner Geheimhaltung dient. 

Eine zweite Person aus dem Gründungsvorstand der Vereinigung bestätigt das. „Die Transparenz ist nicht gegeben, das fängt schon mit dem Pseudonym an“, sagt diese. Unklar sei zum Beispiel, woher die Gelder für die Verteilung des „Wahlhelfer“ in Thüringen stammen. Auch vor der jüngsten Wahl in Sachsen wollte die Vereinigung nach eigenen Angaben 200.000 Exemplare eines Flugblatts mit dem gleichen Titel verteilen. 

„Mir und anderen vormaligen Gründungsmitgliedern der Vereinigung hat er telefonisch berichtet, dass er eine oder mehrere Großspenden an sein privates Konto erhielt,“ sagte einer der Insider gegenüber CORRECTIV. Damit soll unter anderem der „Wahlhelfer“ finanziert worden sein. Wer die Großspender seien, sagte Vollenweider nicht. Der Insider hat seine Version der Geschichte in einer eidesstattlichen Versicherung bestätigt. Vollenweider ließ eine Anfrage hierzu unbeantwortet.

Wie viel Geld es war, wie viele Spenden, von wem – alles unklar, selbst für seine Mitstreiter. Vollenweider soll das Geld für die Vereinigung mit seinem privaten Konto verwalten. Die Kontonummer, die für Spenden auf der Webseite der Vereinigung angegeben ist, führt zur Raiffeisenbank in Würzburg. 

Laut dem Insider sei es dieses intransparente Vorgehen Vollenweiders, das zu Streitigkeiten innerhalb der Vereinigung geführt habe. So sei etwa Thomas Böhm, Gründer von Journalistenwatch, einem Leitmedium der Neuen Rechten, kürzlich aus der Vereinigung ausgetreten. Böhm ließ eine Anfrage dazu bis zur Veröffentlichung unbeantwortet. 

Laut seinem Autorenprofil bei der Webseite The European ist Vollenweider 1985 in Norddeutschland geboren und arbeitete als Banker in der Schweiz. Nach einer „beruflichen Auszeit“ habe er 2016 das Buch „Bankster: Wo Milch und Honig fließen“ über seine Erlebnisse in der Finanzwelt veröffentlicht. Vollenweider will darin die „Tricks der Steuervermeidungsindustrie“ aufdecken.

In einem Interview über das Buch erklärt er, warum er unter seinem Pseudonym auftrete. So sei ein Schweizer Straftäter namens Hans Vollenweider 1908 per Guillotine hingerichtet worden. „Da ich davon ausgehe, dass man mich auch guillotiniert, wenn man mich in die Finger bekommt, habe ich den Namen ein bisschen abgeändert und als Pseudonym benutzt,“ erzählt Vollenweider. 

Angeblich lebt er in einem Dorf in der Nähe von Aschaffenburg. Mehr ist nicht über ihn bekannt. 

Nur ein weiteres Beispiel für ominöse Wahlkampfwerbung für die AfD

Eine Verbindung zur AfD verneint Vollenweider auf Anfrage. Zumindest eine Berührung mit der AfD gibt es aber. Im Mai organisierte die Partei die „1. Konferenz der freien Medien“, eine Tagung von neurechten Bloggern und Publizisten im Bundestag, bei der CORRECTIV als einziges Medium vor Ort war. Vollenweiders „Vereinigung der freien Medien“ trat auf der fast namensgleichen Veranstaltung als Partner auf.

Im Impressum des „Wahlhelfer“ heißt es ausdrücklich, die Gratiszeitung diene nicht Wahlkampfzwecken. Und doch ist die Verteilung der Zeitung „Wahlhelfer“ ein weiteres Beispiel für obskure Wahlkampfwerbung für die AfD. Die Partei verdankt ihre Wahlerfolge der vergangenen Jahre auch Plakataktionen, die zur Wahl von AfD-Kandidaten aufriefen, und der millionenfachen Verteilung von dem „Wahlhelfer“ ähnlichen Gratisblättern wie „Deutschlandkurier“ und „Extrablatt“ in Landtagswahlkämpfen. 

Solche Wahlkampfaktionen sind nur dann zulässig, wenn eine Partei in diese Werbeaktionen nicht eingebunden ist oder wenn sie ihre Finanzierung offenlegt. Recherchen von CORRECTIV und Frontal21 deckten jedoch unter anderem auf, dass AfD-Chef Jörg Meuthen während der Landtagswahl in Baden-Württemberg 2016 sowie der AfD-Europaabgeordnete Guido Reil während der Landtagswahl in NRW 2017 im Vorfeld in die Werbeaktionen eingebunden waren. 

Die Recherche führte dazu, dass die Bundestagsverwaltung im März 2019 gegen die AfD eine Strafzahlung über 400.000 Euro verhängte, weil die AfD die Kosten der Werbeaktionen in ihren Rechenschaftsberichten nicht auswies. Zudem durchsuchte die Staatsanwaltschaft Essen im Juni 2019 die Landeszentrale der AfD in NRW. Die AfD sagt bis heute, dass sie von den Werbeaktionen keine Kenntnis hatte. Als die Bundestagsverwaltung sie zwang, die Spender der Plakataktionen offenzulegen, sendete die Partei Spendenlisten, die sie von der Schweizer Goal AG erhalten hatte, an die Bundestagsverwaltung weiter.  Auf den Listen fanden sich später Strohleute. Die AfD sagt, dass ihr das nicht bekannt gewesen sei.

Die Kölner NGO Lobbycontrol schätzt, dass die verschiedenen Wahlhilfen für die AfD seit 2016 mehr als 10 Millionen Euro kosteten. Sollten sie alle sich letztlich als illegale   Parteispenden herausstellen, wäre dies einer der größten Spendenskandale in der Geschichte der Bundesrepublik.

Eine wichtige Rolle spielt der Stuttgarter Verein für Rechtsstaatlichkeit, der die Gratiszeitung „Extrablatt“ und anfänglich auch den „Deutschland-Kurier“ herausgibt. Vorsitzender des Vereins und Chefredakteur des „Deutschland-Kurier“ ist David Bendels. 

Bendels, der nach einem Auftritt bei der AfD aus der CSU flog, ist übrigens auch Mitglied bei der „Vereinigung der freien Medien“. Laut Vollenweider hat er in der Vereinigung jedoch keine Funktion. Auch am „Wahlhelfer“ habe er nicht mitgewirkt.

Mr. X und seine Geldgeber – sie bleiben erst einmal im Dunkeln.

Update vom 10.04.22.  Nach dem Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt vom 07.04.22 im Berufungsverfahren mussten wir einen Aspekt zu den Spenderlisten verändern, die die AfD aus der Schweiz erhalten und an die Bundestagsverwaltung weitergeleitet hatte, und auf denen sich später Strohleute fanden. Die AfD sagt, dass ihr das nicht bekannt gewesen sei.

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